PrEP als demokratische Biopolitik. Zur Kritik der biopolitischen Repressionshypothese - Neue Veröffentlichung im Jahrbuch Sexualitäten
– oder: die pharmazeutische Destigmatisierung des Schwulseins
Mein Artikel “PrEP als demokratische Biopolitik. Zur Kritik der biopolitischen Repressionshypothese – oder: die pharmazeutische Destigmatisierung des Schwulseins” ist im Jahrbuch Sexualitäten (5/2020) erschienen. Es handelt sich um eine überarbeitete und aktualisierte Übersetzung meines englischen Artikels “The Democratic Biopolitics of PrEP”, und ich fühle mich geehrt, damit bei dieser schönen Publikation dabei zu sein, in illustrer Gesellschaft unter anderem mit Adrian Daub, Ralf König und Seyran Ates.
Wer bewegte Bilder Texten vorzieht, findet hier das Video von der Queer Lecture, die ich über das Thema gehalten habe.
Abstract
PrEP (Präexpositionsprophylaxe) ist ein relativ neues Mittel zur Prävention von HIV-Infektionen. HIV-negative Menschen nehmen antivirale Medikamente ein, die verhindern, dass der Kontakt mit dem Virus zu einer Infektion führt. Im Gegensatz zum Kondomgebrauch basiert dieses Präventionsverfahren auf Medikamenten und nicht auf einer Verhaltensänderung. Aus der Perspektive der Biopolitik fügt sie sich in einen größeren Trend in Richtung Medikalisierung, des Anstiegs der Macht der Pharmaindustrie und der Reglementierung des Risikos ein. Sexuelles Verhalten ist das Ergebnis der Subjektivierung, des Prozesses, durch den soziale Normen Subjekte und ihre Wünsche bilden. Die Medikalisierung von schwulem Sex durch PrEP verändert die sexuelle Subjektivierung und geht daher mit einer Veränderung der Praktiken von schwulem Sex einher. Nach einer kurzen Erläuterung der medizinischen Besonderheiten und der Geschichte von PrEP (1) vereint dieser Artikel eine Rekonstruktion zeitgenössischer theoretischer Ansätze zur Biopolitik im Zusammenhang mit PrEP (2) mit einer Darstellung aktueller politischer Debatten um PrEP (3). Die Untersuchung zeigt, dass sich Gouvernementalitätsstudien und die Italienische Theorie auf repressive Machtverhältnisse konzentrieren und daher die Komplexität der Debatte nicht berücksichtigen können, die sich aus der Subjektivität und Handlungsfähigkeit verschiedener beteiligter Akteure, insbesondere schwuler PrEP-Aktivisten, ergibt. Dennoch werden Interpretationen von PrEP als repressiver Macht auch von einigen Akteuren in der politischen Debatte um PrEP genutzt, meist ohne ausdrücklichen Bezug zur biopolitischen Theorie. Nikolas Roses und Paul Rabinows differenziertes Konzept der Biopolitik bietet einige Ansätze wie diejenigen der biopolitischen Bürgerschaft und der somatischen Ethik, um die Debatte um PrEP und die damit verbundenen komplexen Verhandlungen über Sexualität zu beschreiben. Ausgehend von diesen Ideen entwickle ich ein neues Konzept der ‚demokratischen Biopolitik‘ von PrEP, die eine weitere Demokratisierung der Sexualität im biopolitischen Zeitalter ermöglicht. Der Artikel kritisiert so die ‚biopolitische Repressionshypothese‘, also die Konzentration auf repressive Biomacht unter Ausblendung von demokratischen Elementen in weiten Teilen der biopolitischen und gouvernementalitätsanalytischen Debatte. Das Konzept der ‚demokratischen Biopolitik‘ ist über PrEP hinaus ein Beitrag zu dieser allgemeinen Debatte um Biopolitik und um Foucaults Machtbegriff, denn es hilft bei der Überwindung der ‚biopolitischen Repressionshypothese‘ und ermöglicht es, Biopolitik differenzierter zu analysieren und zu kritisieren.
Zitieren und downloaden
Schubert, Karsten (2020): PrEP als demokratische Biopolitik. Zur Kritik der biopolitischen Repressionshypothese - oder: die pharmazeutische Destigmatisierung des Schwulseins. In: Jahrbuch Sexualitäten 5, S. 91–125.
https://doi.org/10.6094/UNIFR/166195 (pre-print server)
Final Manuscript Academia.edu
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