Während es in Deutschland eine starke Tradition der queerfeministischen Theorie gibt, ist die schwule Seite der queeren Theorieproduktion weitgehend unbekannt. In meinem Überblicksartikel stelle ich sie vor, und gehe dabei sowohl auf die wichtigsten Grundlagenwerke als auch die neuesten Debatten ein. Dabei zeige ich die weit über schwule Belange hinausgehende politische Bedeutung der schwulen und queeren Theorie. Diese politische Bedeutung liegt auch darin, Ressourcen für die Analyse und Kritik des neuen Anti-Genderismus bereitzustellen, der gerade weltweit versucht, Frauen-, Gender-, und Queerrechte abzuwickeln, und dabei viel zu oft Erfolg hat.

Der Artikel schildert die Rezeption Michel Foucaults durch die queere und schwule Theorie und erscheint in der neuen, erweiterten Auflage des Foucault-Handbuchs. Weil Foucault der wichtigste Referenzdenker der queeren und schwulen Theorie ist, dient der Beitrag auch als Überblick zu diesem Feld. Ich freue mich über die Ehre, mit dem Text zum Handbuch beizutragen, das - herausgegeben von Ulrich Johannes Schneider, Clemens Kammler und Ralf Parr - sich schon in der ersten Auflage einen Namen als das zentrale deutschsprachige Referenzwerk zu Foucault gemacht hat. Der neue Beitrag zur schwulen Rezeption im Handbuch ist auch wichtig, weil er eine Lücke der ersten Auflage füllt und für die deutsche akademische Foucault-Rezeption deutlich macht, dass Foucault als schwuler Autor verstanden und ernstgenommen werden sollte - und sein Schwulsein nicht als etwas rein Akzidentielles ausgeblendet werden sollte. Zusammen mit dem für die neue Ausgabe aktualisierten Beitrag zur Rezeption in den Gender Studies und im Feminismus von Stefanie Soine und Sabine Mehlmann ist gibt das Handbuch nun Auskunft über das ganze Spektrum der queeren Anschlüsse an Foucault.


Auszug zur politischen Bedeutung

Die Aufgabe der Queertheorie – die Kritik an Hetero- und Homonormativität – ist aktueller denn je: Der aktuelle Rückschritt durch eine konservative Restauration, die in vielen Ländern schon zur Rückabwicklung von erkämpften Rechten führt, ist eine reale Gefahr für das Leben von queeren Personen. Die gesellschaftliche Basis für diese Homophobie wurde durch die assimilativen Strategien der Einforderung gleicher Rechte der vergangenen Jahre nicht erfolgreich bekämpft, wovon die queere Kritik dank ihres durch Foucault geschulten Blicks auf Macht jenseits des Rechts keineswegs überrascht ist. Unter der Oberfläche eines rechtlichen Fortschritts für privilegierte Schwule und Lesben herrscht nicht erst seit Trump und AfD ein »War on Sex«, der alle nicht-normativen Formen der Sexualität, insbesondere den kommerziellen, HIV-positiven und nicht-monogamen Sex bekämpft, wie im gleichnamigen Sammelband ausführlich analysiert wird (Halperin/Hoppe 2017). Ob dem konservativen Anti-Genderismus in Zukunft die Stirn geboten werden kann, entscheidet sich nicht zuletzt daran, ob es gelingt, queeres Denken in der Akademie voranzubringen.

Zitieren und downloaden

Schubert, Karsten (2020): Queere und schwule Theorie. In: Clemens Kammler, Rolf Parr und Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2020. Stuttgart: J.B. Metzler, Part of Springer Nature - Springer-Verlag GmbH; J.B. Metzler, S. 503–509. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05717-4_92
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