Der September kommt mit einem vollen Vortrags- und Konferenzprogramm! Hier die Übersicht, unten Detailinfos.

Übersicht

Es ging los mit einer Podiumsdiskussion beim Erlanger Poetenfest zu Identitätspolitik mit Erich Hattke und Nana Brink.

Am Dienstag, dem 7.9, 18h spreche ich beim CSD Halle zu Sexualität und politischer Kritik. Vielen Dank an die AIDS Hilfe Halle für die Einladung!

Am Freitag, dem 10.9, 12h spreche ich beim MANCEPT Workshop “Authoritarian Moments” von Felix Petersen und Verena Frick zu Authoritarianism and Academic Freedom.

Auf dem DVPW-Kongress geht es am Dienstag, 14.9 um 16h30 beim Panel DiE17, Polarization and Democracy weiter mit meinem Vortrag zu “Polarization, Identity Politics, and Democracy”.

Und der September wird ausgeleitet mit einem Vortrag zu PrEP und sexueller Befreiung bei der HOPE-Tagung der AIDS Hilfe Bern am Samstag, den 2.10.

Darüber hinaus organisiere und/bzw. moderiere ich drei verschiedene Veranstaltungen: Ein Theorie-Panel bei der Konferenz Populism, Protest, and New Forms of Political Organization: Ten Years after the Movements of the Squares an der FU Berlin (8.-10.9), das Panel MiD24 “Transformation des Politischen. Neue Perspektiven der radikalen Demokratietheorie” DVPW-Kongress (mit Lucas von Ramin) am Mittwoch, 15.9, 14h30 und das Panel DiD26 “Vom Neoliberalismus zum autoritären Populismus. Geschlechterpolitische Herausforderungen” (mit Nina Eggers und Brigitte Bargetz) am Dienstag, 14.9, 14h30.

Details

CSD Halle / AIDS Hilfe Halle: Sexualität und politische Kritik. Ein neuer Ansatz der sexuellen Befreiung mit Foucault, PrEP, und Biopolitik

7.9 18h, Halle

Martin Luther Universität, Melanchthonianum Hörsaal XX, Universitätsring 9, Halle (Saale)
In der schwulen sexuellen Befreiung der 70er Jahre gab es kurz queeres Leben avant la lettre. Es wurde durch die AIDS Krise unterbrochen: Das zunehmende Stigma der Krankheit brachte die schwule Politik dazu, homonormativere Formen anzunehmen, die sich später mit der verbesserten rechtliche Gleichstellung verfestigten. PrEP kann helfen, dieses Stigma zu beenden, womit heute ein wichtiger Treiber der Homonormativität wegfällt, so dass queerere Sexualitäts- und Politikformen möglich werden. Anhand einer Analyse der politischen Kämpfe um PrEP und seiner Wirkung auf schwule Subjektivität entwickelt der Vortrag eine neue Theorie der sexuellen Befreiung nach Foucault. Dabei geht es zwar um die Kritik repressiver Normen, allerdings nicht, um eine natürliche Sexualität darunter freizulegen, sondern um in einem gemeinschaftlichen Prozess neue Normen zu schaffen. Dies beinhaltet auch dem Kampf um die selbstbestimmte Nutzung von Biotechnologie und Medizin, die dafür in geeigneter Weise verfügbar sein müssen. Sexualität und Politik sind negativ verbunden: Repressive Sexualität führt zu homonormativer Politik, die queere Solidarität verhindert. Andersherum kann die sexuelle Befreiung durch PrEP neue queere Solidarität jenseits homonormativer Interessenpolitik ermöglichen.
Unterstützt von MSD SHARP & DOHME GmbH See Less

Radiobeitrag zum Vortrag

https://radiocorax.de/prep-als-demokratische-biopolitik/


MANCEPT Workshop “Authoritarian Moments”: Authoritarism and Academic Freedom

Organisiert von Felix Petesen und Verena Frick, 10.9, 12h, Zoom

Restrictions of academic freedom are commonly attributed to authoritarian regimes. However, in recent years, academic freedom became politically contested in Western liberal democracies. At the center of these contestations are critical theories that question and criticize societal power structures. On the one hand, such theories are criticized for promoting ‘political correctness’ within the academy and thereby limiting academic freedom. On the other hand, it is precisely these theories that are attacked by politicians, resulting in state-driven, external limitation of academic freedom (for example by influencing job hires or redistributing funding). The paper proposes to interpret such state restrictions of academic freedom as “authoritarian moments” within liberal democracies which are infact fueled by the contemporary critique of alleged restrictions of academic freedom by critical theories. It shows that the authoritarian attacks on critical theories are philosophically based on universalism and argues that the systematic privileging of particularist minoritarian perspectives is needed not only for strengthening academic freedom, but also for creating robust political institutions that resist authoritarian developments. Therefore, it interprets “identity politics” as key element of a defense against authoritarian moments in liberal democracies.

DVPW-Kongress Panel DiE17, “Polarization and Democracy”: Polarization, Identity Politics, and Democracy

Dienstag, 14.9, 16h30, Zoom

In der Debatte um Polarisierung wird “Identitätspolitik” vielfach als wichtige Ursache für gesellschaftliche Spaltungen genannt. Die durch Identitätspolitik intensivierte Polarisierung zersetze den demokratischen Diskurs und verhindere solidarische Politik. Im Vortrag werde ich für die gegenteilige These argumentieren: Nur mithilfe der durch Identitätspolitik induzierten Polarisierung kann die Politik demokratischer gestaltet werden. Die These begründe ich mit Bezug auf radikaldemokratische Theorien, die zeigen, dass die aktuelle Hegemonie nur privilegierte Perspektiven zulässt und deshalb eingeschränkt ist. Zur kontinuierlichen Korrektur dieses strukturellen Bias der institutionalisierten Politik sind die in identitätspolitischen Projekten entwickelten partikularen Perspektiven nötig, wie Standpunkttheorien und neuere Arbeiten zu epistemic injustice zeigen. Doch es handelt sich hier nicht nur um ein epistemisches, sondern um ein politepistemisches Problem. Das bedeutet, dass der einfache Aufweis der eingeschränkten Perspektive nicht ausreicht, um Hegemonien zu ändern. Dafür ist zusätzlich Machtpolitik nötig, beispielsweise durch unterschiedliche Protestformen und Skandalisierungen, mit denen sich identitätspolitische Projekte der Mehrheitsgesellschaft Gehört verschaffen. Dieses – oft notwendig laute und konfrontative – Drängen von neuen Perspektiven in die Öffentlichkeit führt zu Polarisierung. Wenn die identitätspolitische Machtpolitik erfolgreich ist, induziert sie Lernprozesse, die zu einer Reform der institutionellen Ordnung und einer Transformation der Hegemonie führt, wodurch die Polarisierung wieder abnimmt. Polarisierung ist dieser radikaldemokratischen Perspektive also kein Problem, sondern gehört, genau wie Identitätspolitik, notwendig zur Demokratisierung der Demokratie. Was wiederum nicht heißt, dass Polarisierung Selbstzweck wäre: Im Gegenteil ist der (weit entfernte) normative Horizont identitätspolitischer Polarisierung das demokratische Versprechen gleicher Freiheit und Inklusion.

Moderation/Organisation

DiD26 | Vom Neoliberalismus zum autoritären Populismus. Geschlechterpolitische Herausforderungen

Organisiert von / Organized by: Dr. Brigitte Bargetz (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), Nina Elena Eggers (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), Dr. Karsten Schubert (ZiF Bielefeld/Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)
Dienstag, 14.9, 14h30
Unterstützende Untergliederung(en) / Supporting Grouping(s): Sektion „Politische Theorie und Ideengeschichte“; Sektion „Politik und Geschlecht“, Arbeitskreis „Politik und Kultur“, Themengruppe „Populismus“

Abstract: Zahlreiche Theorien und Konzepte des Populismus gehen davon aus, dass der autoritäre Populismus als Reaktion auf eine Krise der Repräsentation in liberalen Demokratien zu deuten ist, die insbesondere auf die Aushöhlung der Demokratie durch den Neoliberalismus zurückgeführt werden kann. Er kann in dem Moment an Stärke gewinnen, in dem es den etablierten Parteien nicht mehr gelingt, die Wählerinnen hinter sich zu vereinen und es zu verstärkten Polarisierungen kommt. Der Populismus appelliert an das „Volk“ und den Volkswillen, der einer etablierten Elite diskursiv gegenübergestellt wird, und nimmt damit die Unzufriedenheit und Ohnmachtsgefühle in der Bevölkerung als Basis der Mobilisierung gegen das bestehende Parteien- und Staatssystem. Bereits in den 1970er Jahren hat Stuart Hall mit dem Konzept des autoritären Populismus auf eine autoritäre Wende „von oben“ verwiesen, die über moralische Paniken Zustimmung generiert. In diesem Sinne funktioniert der autoritäre Populismus, den wir gegenwärtig in unterschiedlichen Teilen der Welt erleben, durch das Schüren von Ängsten und moralischen Paniken in der Bevölkerung, der Kreation und Verstärkung von Ressentiments. Die Berufung auf Volkssouveränität wird dabei gegen bestimmte Minderheiten ausgespielt. Ein zentrales Element aller aktuell beobachtbaren Formen des autoritären Populismus ist die Forderung nach einer Retraditionalisierung von Geschlechterbildern und Familienkonzepten, die vielfach mit expliziter Misogynie und LGBTIQ-Feindlichkeit einhergeht. Der rechts-autoritäre Kampf gegen Feminismus und „Gender-Ideologie“ hat, gerade auch in seiner Verknüpfung mit rassistischer Mobilisierung, enorme Mobilisierungskraft. Dabei kommt es auch zu Paradoxien wie einer Migrationsabwehr, die über die Emanzipation von Frauen und queeren Menschen begründet wird. Doch das Verhältnis von Neoliberalismus, autoritärem Populismus und „Anti-Genderismus“ ist in der Forschung umstritten. Unsere Querschnittveranstaltung untersucht es aus kapitalismus- und rechtspopulismuskritischer, feministischer und queerer Perspektive, um darüber nachzudenken, wie regressiven Geschlechterpolitiken entgegnet und damit die Demokratie gegen Autoritarismus „verteidigt“ werden kann. Wo und wie greift das Regieren sexueller Freiheit und sexueller Sicherheit in Bezug auf Autoritarismus und Neoliberalismus ineinander? Wie tragen rechtspopulistische LGBTI*QFeindlichkeit sowie Vorstöße zur Retraditionalisierung von Familien und Carework zur Entwicklung eines neoliberalen Autoritarismus bei? Und welche Analysen und Handlungsempfehlungen steuert die queere und feministische Theorie zur Demokratisierung der Demokratie in autoritären Zeiten bei? Diese Fragen wollen wir in drei ausgewählten Bereichen beleuchten und diskutieren.

(1) Gundula Ludwig: Über die fantasmatischen Logiken sexueller Politiken im autoritären Neoliberalismus und im autoritären Populismus (Arbeitstitel)
(2) Paula Diehl: Welchen Platz hat Michelle? Postfeministische Spielräume in Bolsonaros autoritärem Populismus (Arbeitstitel)
(3) Mike Laufenberg: Pandemischer Populismus. Queere Politik im Zangengriff von autoritärem Freiheits- und heteronormativem Sicherheitsbegriff (Arbeitstitel)

MiD24 | Transformation des Politischen. Neue Perspektiven der radikalen Demokratietheorie

Organisiert von / Organized by: Dr. Karsten Schubert (Universität Freiburg), Lucas von Ramin (Universität Dresden)
Mittwoch, 15.9, 14h30
Unterstützende Untergliederung(en) / Supporting Grouping(s): Arbeitskreis „Konstruktivistische Theorien der Politik“, Arbeitskreis „Politik und Recht“, Arbeitskreis „Politik und Kultur“, Themengruppe „Populismus“ Chair: Dr. Lucas von Ramin (Universität Dresden), Discussant: Dr. Karsten Schubert (Universität Freiburg)

Abstract:
Die 2010er Jahre sind ein düsteres Jahrzehnt für liberale Demokratien: Der enorme Machtzuwachs von rechtspopulistischen Parteien und Tendenzen des Autoritarismus stellen den liberaldemokratischen Konsens in Frage. Die radikalen Demokratietheorien heben die grundsätzliche Konfliktualität und Kontingenz des Politischen hervor und haben sich insbesondere für die Analyse und Kritik von Entpolitisierungsprozessen im westlichen Parlamentarismus bewährt. Sie prognostizierten, dass die aus der alltäglichen Politik verdrängten Konflikte in Form fundamentalistischer Opposition zum demokratischen Projekt einen Weg bahnen würden. Im Zuge der politischen Entwicklungen der 2010er Jahre ist eine solche Dynamisierung des Politischen eingetreten, die allerdings aber nicht nur linke und ökologisch motivierte Bewegungen umfasst, sondern insbesondere den Rechtspopulismus. Dies wirft die Frage auf, inwieweit Theorien der Radikaldemokratie noch helfen, emanzipative und widerständige Politisierung zu beschreiben und zu unterstützen. Denn einerseits scheint sich der Theoriekorpus durch die Entwicklungen zu bestätigen und wird deshalb dringend für Analysen der Gegenwart gebraucht, andererseits zeigt sich angesichts der zunehmenden Attacken auf die liberale Ordnung auch seine normative und politik-praktische Hilflosigkeit: Ist es noch zeitgemäß, die liberale Ordnung zu dekonstruieren, wenn sie ohnehin von einem ungleich mächtigeren Gegner von rechts in Frage gestellt wird, der versucht, die autoritäre Wende durch den gezielten Abbau liberaler Institutionen zu vollziehen? Wie positionieren sich die radikaldemokratischen Theorien zu parlamentarischen Institutionen und Rechtsstaatlichkeit? Können sie ihrer radikalen Normativität nur treu bleiben, wenn sie jegliche Herrschaftsstrukturen kritisieren, oder braucht eine realistische radikaldemokratische Theorie einen affirmativeren Begriff von liberalen Institutionen? Durch die Verhandlung dieser Fragen soll das Panel Ansätze zur Aktualisierung der radikalen Demokratietheorie für die 2020er Jahre entwickeln.

Beiträge / Contributions: Ein metatheoretischer Blick auf radikale Demokratietheorien
Dr. Sabrina Zucca-Soest (Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg)
Abstract:
Liberale Demokratien und die hiermit verbundenen verfassungsstaatszentrierten Legitimationsstrategien werden aktuell grundsätzlich in Frage gestellt. In einer globalisierten und hochfragmentierten Welt geschieht dies von außen, wie durch ein erstarken von Autoritarismus und Populismus von innen. Der liberal-demokratische Verfassungsstaat bezieht seinen Geltungsanspruch aus einem vormals konsentierten und selten hinterfragten Legitimitätskonstrukt. Gerade hier greifen radikale Demokratietheorien an, wenn sie auf die Notwendigkeit einer emanzipativen Politisierung verweisen. Auch theoretisch stellt sich hier die Frage, ob radikale Demokratietheorien als Heilung oder große Gefahr für die vielbesprochene „Krise der Demokratie“ wirken können. Den neuralgischen Punkt bildet hier die Begründungsfähigkeit, die Legitimität, von demokratischen Ordnungen. Legitimität kann entweder im Sinne des faktischen Vorliegens einer zustimmenden subjektiven Einstellung gegenüber Normen und kollektiv verbindlichen Entscheidungen auf Seiten der an einer politischen oder sozialen Ordnung Beteiligten verstanden werden (deskriptiver Zugang, ex post) – oder aber als Fähigkeit eines in besonderer Weise gestalteten Regelsystems, eben diese Zustimmung hervorbringen zu können (präskriptiver Zugang, hypothetisch-antizipierend). Auch radikale Demokratietheorien müssen sich auf dem Spannungsbogen von deskriptiver und präskriptiver Begründungslogik positionieren. Denn auch in der radikalsten Variante einer Demokratietheorie besteht die Notwendigkeit einer Rückkoppelung von empirischen, normativ gehaltvollen Sachverhalten an die sie begründenden, normativen Grundprämissen. Dieser metatheoretische Blick auf radikale Demokratietheorien soll helfen ihre emanzipatorische Kraft, sowie die Bedingungen für ihren Geltungsanspruch neu zu beleuchten.

Radikale Demokratietheorie zwischen Theorie und Praxis
Katharina Liesenberg (Technische Universität Darmstadt)
Abstract:
Kritische Theoriebildung steht im Angesicht multipler gesellschaftlicher Krisen vor der Frage ihrer eigenen praktischen Relevanz. Theorien radikaler Demokratie ermöglichen die kritische Kontestation bestehender Herrschaftsverhältnisse, scheinen aber unfähig solche Erkenntnisse auch anschlussfähig für die politische Praxis zu machen. Dennoch mangelt es an einer Auseinandersetzung mit politischen Institutionen, ebenso fehlt es an Übersetzbarkeit von Theorie und Praxis. Unter Bezugnahme auf Jacques Rancière, John Dewey und Iris Marion Young werde ich im Folgenden zunächst darstellen, welchen In- und Exklusionslogiken politische Institutionen und Praktiken folgen (1). Dass Institutionen auch exkludierend wirken, darf jedoch radikale Theoriebildung nicht davon abhalten, einen Ordnungsbegriff auszubilden. Ein Verständnis von Ordnung ermöglicht Handlungsmacht nicht nur individuell, sondern auch kollektiv fassen zu können (2). Es wird gezeigt, dass Verschiebungen zwischen Privat und Öffentlich konstitutiv für Politik und Politisches sind und Institutionen hierauf reagieren müssen (3). Um den aktuellen politischen Herausforderungen gerecht zu werden, muss schließlich (4) auf die Materialität gesellschaftlicher Zustände und die Hintergrundbedingungen des Kapitalismus (Fraser/Jaeggi 2020) eingegangen werden. Im Anschluss an Dewey und Young werden Ordnungsstrukturen theoretisch plausibel gemacht, die solchen materiellen Lebensbedingungen praktisch gerecht werden. Experimentelle Ordnungsstrukturen, die Raum für Demokratie als Erfahrung und Lebensform lassen (Dewey), ebenso wie sie Machtverhältnisse gängiger Vergesellschaftung (Young) berücksichtigen (5), sind notwendiger und essentieller Bestandteil einer praxis-bezogenen kritischen Theorie. Es wird zusammenfassend gezeigt, dass eine solche Herangehensweise erfordert über poststrukturalistische Analysen hinauszugehen und mit Dewey den demokratischen Sozialismus als radikalste aller freiheitlichen Organisationsformen in radikale Theoriebildung zu integrieren. Radikale Demokratietheorien unter Normalisierungsdruck?

Prof. Dr. Oliver Flügel-Martinsen (Universität Bielefeld)
Abstract:
Radikale Demokratietheorien (RDT) haben sich gegenüber konventionellen Ansätzen wie liberalen oder deliberativen Demokratietheorien als ein neuerer Ansatz etablieren können. Diese zunehmende Aufmerksamkeit verdanken sie aber nicht nur anderer in-haltlicher Positionen wie der Betonung von Konflikt und Dissens, sondern auch dem Umstand, dass sie sich gegenüber normativen Demokratietheorien durch eine andere konzeptionelle Ausrichtung auszeichnen: Während normative Demokratietheorien üblicherweise auf die Begründung von Demokratiemodellen zielen, betonen viele RDT die befragende Kritik bestehender Ordnungen. Wie in der Panel-Ausschreibung hervorgehoben wird, scheinen sie mit dieser Position dann in eine ambivalente Situation zu geraten, wenn Kritiken an den Institutionenord-nungen liberal-demokratischer Regierungssysteme zur Regel werden – aber eher durch rechte als linke Bewegungen erfolgen, die die Semantik der Demokratie kapern, während sie pluralistisch-demokratische Praxen zu unterminieren suchen. In jüngerer Zeit werden deshalb zunehmend Stimmen laut, die eine radikaldemokratische Institutionentheorie fordern und damit die Forderung verbinden, dass RDT nicht im Modus der Kritik verharren können. Ich werde argumentieren, dass sich diese Forderungen nach einer Institutionentheorie zu einem Normalisierungsdruck auf RDT entwickeln. Lassen diese sich darauf ein, lau-fen sie Gefahr, die Maßstäbe normativer Demokratietheorien anzuerkennen und dadurch ihre kontingenztheoretische Offenheit einzubüßen, die ihre Radikalität erst eröffnet. Das heißt nicht, dass RDT eine feindliche Haltung gegenüber Institutionen einnehmen müssen. Sie verlieren aber ihre Radikalität, wenn sie sich zur Begründung von Institutionen verpflichten lassen. Die demokratische Praxis, die RDT betonen, muss deshalb eine der radikalen Befragung bleiben. Von rechten, pseudodemokratischen Kritiken an Institutionenordnungen unterscheiden sich RDT durch die Offenheit, die zu einer andauernden Infragestellung der eigenen Prämissen führt.


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